Bis vor gut hundert Jahren war Pferdediebstahl ein Kapitalverbrechen. Seines Pferdes beraubt zu sein bedeutete existentielle Not, denn es übernahm alle Aufgaben, für die wir heute Auto und andere Verkehrsmittel, Post und Mail, Panzer und Traktoren nutzen. Anfang des 20. Jahrhunderts schien das Pferd dann durch den technischen Fortschritt zunehmend entbehrlich. Für einige Jahre war der Rückgang der Pferdezahl in unseren Breitengraden so drastisch, dass manche schon munkelten, es könne aussterben. So kam es nicht.
Auch heute kommt im Zusammenhang mit den steigenden Preisen, der arbeitsaufwändigen Haltung, der räumlichen Enge in den urbanen Gebieten und Unfallstatistiken immer wieder die Frage auf, ob wir Menschen wirklich Pferde brauchen. Es gibt schließlich reichlich sachliche Argumente gegen die Pferdehaltung.
Erstaunlicherweise beantworten viele Menschen die Frage, ob sie Pferde brauchen, mit einem klaren „Ja“.
Noch viel erstaunlicher finde ich, dass diese so großen, starken Tiere, die mit Hufen, Zähnen und ihrer bloßen Körpermasse jederzeit die Möglichkeit hätten, sich unserer zu entledigen, dies so selten tun. Dass sie sich uns freundlich nähern, Kontakt aufnehmen, sich von uns herumführen lassen und sogar ungeschickte Reiter, die ihnen durchaus unbequem sind, duldsam herumtragen. Dass sie sich einfühlen in unsere Stimmungen, sich einstellen auf unsere körperlichen Begrenzungen und unsere Freundschaft suchen.
Es ist etwas Unbegreifliches, Magisches, was immer wieder zwischen Menschen und Pferden passiert. Was jeden wirklich gelungenen Ritt ausmacht und sich ebenso zeigt, wenn Menschen, denen keine Psychotherapie geholfen hat, durch die Freundschaft mit einem Pferd wieder gesund werden. Was spürbar ist, wenn ein Fohlen einem zum Schlafen den Kopf in den Schoß legt, hörbar im zärtlichen Begrüßungsblubbern und sichtbar, wenn ein Pferd sich auf der Weide aus seiner Herde löst, um seinen menschlichen Freund zu begrüßen.
Pferde sind als Nutztiere überflüssig geworden und trotzdem brauchen wir sie unvermindert. In der magischen Begegnung mit ihnen finden wir, wonach unsere Seele sucht.