“Teil I beginnt recht klassisch: Wecker, aufstehen, Kaffee kochen. Morgens möchte ich Kaffee trinken (viel) und ansonsten möchte ich nichts. Insbesondere möchte ich nicht reden. Dies gestaltet sich leider schwierig bis unmöglich, wenn man vor der Aufgabe steht, zehn Kinder zum richtigen Zeitpunkt und mit der richtigen Ausstattung vom Bett in den Kindergarten bzw. in die Schule zu verfrachten. Man weiß nicht, welcher Teil – richtiger Zeitpunkt oder richtige Ausstattung – schwieriger ist.

„Mami, ich KANN nicht aufstehen, es ist noch NACHT!“
„Mami, ich habe NICHTS zum Anziehen!“
„Mami, es gibt keine 2 gleichen Socken.“
„Mami, meine Trinkflasche ist weg.“
„Mami, ich brauche UNBEDINGT HEUTE [ein Foto von mir in den Maßen 7,5×9 / vier verschiedene Sorten Getreide zur Anschauung / 14,40 Euro Kunstgeld + 7,80 Euro für das neue Workbook + 8 Euro für die Klassenkasse / den Zettel mit Unterschrift, den ich letzte Woche ins Bücherregal gelegt habe / neue Sportschuhe, die alten sind zu eng / einen Schlapphut für die Tanzaufführung, außerdem kratzt mein Kostüm so sehr, das KANN ich nicht anziehen, kannst Du das regeln? / …]“
„Mami, ich hab’ gestern zweimal geniest, ich muss heute glaube ich zu Hause bleiben.“
„Mami, ich hab’ meine Mathehausaufgaben nicht fertig, was muss ich bei Aufgabe 2 machen?“
„Mami, ich finde meine Schuhe nicht, kann ich auch in Reitstiefeln los?“

Diese Liste ließe sich ewig fortsetzen, klar ist eines: Schweigend Kaffee trinken ist raus. Dann kommt der Moment, wenn sich nach dem letzten Kind die Tür schließt. Ruhe. Ausatmen. Dann noch schnell das Schokomüslimassaker beseitigen und es beginnt der Morgen, Teil II, draußen. Ich schließe den Stall auf und werde leise, freundlich und ein wenig verschlafen brummelnd und wiehernd begrüßt. Frühstück für alle! Ich beginne mit den Hütten hinten auf den Weiden. Der Weg dorthin ist immer wunderschön, und wenn ich schreibe „immer“, dann meine ich das auch. Noch ist es um diese Uhrzeit hell, und ob ich nun in einen goldenen Sonnenaufgang oder durch grauen Nieselnebel laufe, dieser morgendliche Gang durch die noch leeren Weiden macht mich – ohne in Kitsch abrutschen zu wollen – jeden Tag aufs Neue tief glücklich. Futter verteilen und zurück zum Stall, und wieder werde ich begrüßt, aber nun weder leise noch verschlafen, sondern im Gegenteil sehr ungeduldig. Die Aussicht auf Futter lässt bei allen eine sehr spezielle Seite zutage treten, da wird gescharrt, gewiehert, gestampft … Erste Runde ist Mineralfutter, das bekommen alle, sogar Minishetty Charly und ihr Fohlen. Die haben allerdings keinen Futtertrog und strecken mir deshalb ihre Nasen entgegen, weil sie genau wissen, dass sie ihre Portion aus meiner Hand fressen dürfen. Dann geht es weiter mit Zuchtfutter, Start bei Einhorn. Die Chancen, dass Dinara nicht ihren Trog geäppelt hat, sind fifty-fifty, ansonsten verzögert die Säuberung desselben den Vorgang um einige Momente, was wiederum Ellie und Nala nicht gutheißen können und Versuche starten, sich unter der Boxentür durch den betonierten Boden zu graben. Bei Lynn hört die Mutterliebe für die Dauer des Frühstücks auf, Ladys Fohlen Firefly wiehert lauter als alle Erwachsenen zusammen und Kylie ist beleidigt, weil sie die letzte ist. Weiter geht es mit Hafer, Bando wartet geduldig auf zwei Beinen, bekommt aber noch nichts, Mirabella hat eine Fresstechnik, bei der sie mit ihrer hochgeklappten Oberlippe im Metalltrog ein lautes Quietschen verursacht, Diamond fragt, ob die Menge, die ihm zugedacht ist, wirklich alles sein kann, und Kes macht seinen Hals so rund, dass er 20 cm größer wirkt, damit er auch ja nicht übersehen wird. Letzte Runde: haferfreies Müsli. Endlich darf Bando wieder auf 4 Beinen stehen, und auch Sydney und Lucky, sonst ein Herz und eine Seele und sich die ganze Nacht über die Boxenwand hinweg kraulend, können ihren angesichts des nahenden Frühstücks aufgekommenen Streit, wieder beilegen. Shrooni sortiert fein säuberlich die ungeliebteren Bestandsteile seines Müslis aus und überlässt sie seinem Boxenkollegen Simba. Weiter gehts zu den Hallenboxen, Lola hängt ihren Kopf beim Fressen immer so weit nach draußen, dass vor ihrer Box eine kleine Haferplantage in den Fugen der Pflastersteine entstanden ist, Blackie geht in den Flamingomodus und klappt ein Vorderbein nach oben, denn sie kann Krippenfutter nur auf drei Beinen stehend fressen, während ihr Fohlen Lou noch die Morgen-Kurz-Kraulung einfordert, und Deckhengst Prinz wetzt seine Zähne am Metall der Boxentür, bis er an der Reihe ist. Kann ein Tag bunter und schöner starten?

Lou und Blackie nach dem Frühstück